Professor Tomforde, was macht eigentlich CAPTN X-Ferry?

21. August 2025

Stellen Sie sich doch bitte zunächst vor.
Prof. Dr. Sven Tomforde: Mein Name ist Sven Tomforde. Ich bin Professor für Informatik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU); meine Arbeitsgruppe heißt ‚Intelligente Systeme‘.

Sie sind beim CAPTN X-Ferry dabei. Was macht das Projekt?
X-Ferry beschäftigt mit der Akzeptanz von autonomen Schiffen. Genauer: Wie bringen wir Fahrgäste und nautisches Personal dazu, selbstfahrende Fähren ohne Bedenken zu nutzen? Wir glauben, dass das durch transparente Erklärungen gelingen kann, die die Fähre für ihre Streckenführung, Manöver und sozusagen ungewöhnliches ‚Handeln‘ eigenständig ausgibt.

Unsere Kernfrage lautet: Wie kann man Situationen erkennen, die Erklärbarkeit bedürfen? Und wie bereitet man sie nutzer- und zielgruppenspezifisch auf, um Akzeptanz zu erhöhen?

Wenn ein Schiff autonom Manöver fährt, ist das für den Fahrgast eine ganz andere Situation, als wenn ein erfahrener Kapitän das Schiff lenkt. Zukünftige selbstfahrende Schiffe werden also – wie autonome Straßenfahrzeuge – Komponenten benötigen, die dem Nutzer eine bestimmte Handlungsweise erklären.

Was ist Ihre Aufgabe?
Zum einen bin ich Koordinator des Projekts. Beteiligt ist nicht nur die CAU, wir sind ein Verbund aus mehreren Hochschulen und Industriepartner – wie die Vater-Gruppe, HH Vision, Addix und Anschütz, die Hochschule Flensburg und die Fachhochschule Kiel mit ihrer Forschungsgesellschaft als Eigner des ihm Rahmen des CAPTN-Projekts Förde Areal gebauten Forschungskatamarans MS Wavelab. Als Koordinator steuere ich das Gesamtprojekt und sorge dafür, dass alle Partner zusammenarbeiten.

Zweitens arbeite ich natürlich auch inhaltlich: Dazu gehört es, abnormale, erklärungsbedürftige Situationen zu erkennen, Ursachen zu identifizieren und ein Modell zu entwicklen, das Ursachen von Situationen abbildet. Das überführen wir in Datenstrukturen als Basis für Erläuterungen, die dann die Visualisierungspartner nutzergerecht aufbereiten.

Warum glauben Sie, dass gerade ein Schiff das braucht?
Die Umgebung ist eine völlig andere, als bei anderen autonomen Fahrzeugen. Nehmen wie beispielsweise die U-Bahn in Paris. Da merkt man nicht mal, dass sie eigenständig fährt. Das ist ein geschlossenes System – sie fährt durch Tunnel. Der Fahrgast nimmt kaum wahr, was außen passiert.

Auf einem Schiff schwimmt man auf einer offenen Wasserfläche, hat Fenster und kann alles sehen. Und wir haben eine sich ständig verändernde Umgebung mit anderen Verkehrsteilnehmern, Objekten im Wasser oder möglicherweise stündlich veränderten Wetterbedingungen.

Ein Kapitän reagiert im Normalbetrieb auf diesen Kontext. Er kennt das Gewässer, die Fahrregeln, die anderen Verkehrsteilnehmer. Als Passagier vertraue ich auf seine fundierte Ausbildung. Bei einem autonomen System ohne Kapitän ist das ein völlig anderes Gefühl – da vertraue ich eher, wenn ich verstehe, warum das Schiff so agiert beziehungsweise reagiert, wie es eben reagiert.

Wie sieht das dann praktisch aus?
Für Kapitän und Passagiere stellen wir uns unterschiedliche Darstellungsformen vor. Im Passagierbereich würde ein Display die berechnete Navigation und Route zeigen, plus statischer Objekte auf der Seekarte und andere Schiffe sowie weitere Informationen wie die erwartete Ankunftszeit bis zum nächsten Anleger. Vielleicht auch sowas wie ein grünes Signal: „Alles ist gut“. Erkennt das System etwas Außergewöhnliches – etwa, dass ein Schiff merkwürdig fährt – weicht es von der geplanten Route ab, um den Sicherheitsabstand zu erhöhen. Da es eine wahrnehmbare Abweichung ist, müssen die Passagiere informiert werden. Diese würde dann auf dem Display zu erkennen sein.

Wie wollen Sie denn herausfinden, was normales Verhalten ist?
Wir sind alle keine Nautiker, sondern eher Techniker. Wir würden das abweichende Verhalten rein datenbasiert beantworten können – nämlich, indem wir viele Daten über Manöver sammeln. Aus nautischer Sicht brauchen wir Erklärungen dazu, welche Manöver oder Verhaltensweisen anderer Verkehrsteilnehmer tatsächlich von Regeln und Normen abweichen. Deshalb arbeiten wir mit Anwendungspartnern wie der Kieler Schlepp- und Fährgesellschaft (SFK) zusammen. Und dann kategorisieren wir systematisch: Was ist für sie abnormes Verhalten? Was sind die Ursachen? Das verwenden wir als erste Instanz eines kausalen Modells für die Ursachenableitung.

Wir nutzen dafür allerdings kein Passagierschiff, sondern unseren Forschungskatamaran MS Wavelab. Mit diesem können wir Routen abfahren, Gegebenheiten nachstellen, Daten aufnehmen und Situationen darstellen. Das nutzen wir als Referenz für das Modelltraining am Computer. Wir sind eine der wenigen Forschungsgruppen, die ein solches Forschungsschiff haben. Technologieerprobung in einem Reallabor ist für uns höchst wertvoll.

Wie genau muss ich mir die Kommunikation mit den Passagieren vorstellen?
Das hängt von der Schiffsausstattung ab. Angedacht ist ein Display im Passagierbereich, das erwartetes Verhalten in Form von Navigation und Kontext darstellt, und Abweichungen sowie Ursachen visuell einblendet. Eine konkrete Darstellungsform haben wir noch nicht. Das Projekt läuft gerade an – wie es im Endeffekt aussieht, erarbeiten wir nach und nach.

Welches Ergebnis erhoffen Sie sich?
Das Projekt läuft drei Jahre; es wird finanziert vom Bundeswirtschaftsministerium – jetzt: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie – im Maritimen Forschungsprogramm. Gestartet ist es im September 2024.

Unser Forschungsziel ist es, einen prototypischen Aufbau für die Kieler Förde zu entwickeln, mit dem wir priorisierte Grundszenarien demonstrieren können. Das System soll Ursachen finden und in Erklärungen übersetzen.

Am Ende der Laufzeit soll idealerweise folgendes dargestellt werden können: Ein Schiff fährt auf uns zu oder wir simulieren Objekte im Wasser; unser Schiff passt sich an, erkennt selbst warum es sein Manöver anpasst und erklärt dies gezielt. Die Manöver selbst werden in anderen Projekten erforscht. Unser Fokus liegt auf der Erklärbarkeit.

Forscht die CAPTN Initiative als einziger Forschungsverbund an einer solchen Technologie?
Zur autonomen Schifffahrt gibt es international viele Initiativen, auch in Deutschland auf Binnengewässern. Jede hat einen etwas anderen Fokus. Grundsätzlich geht es aber bei allen um Technologie für autonome Schifffahrt. Da sind wir nicht alleine. Aber bei der Erklärbarkeit des Verhaltens, besonders im Passagierbetrieb, sind wir bisher die einzigen, die wirklich in diese Richtung forschen.

Ist es denn auch möglich, das Szenario auf ein anderes Gewässer – etwa die Flensburger Förde – zu übertragen?
Grundsätzlich wird es erst mal auf Kieler Gegebenheiten zugeschnitten sein – wir modellieren in dieser Region den Verkehr, das Normalverhalten und den Fährbetrieb. Die Basistechnologie wird aber adaptierbar und auf andere Szenarien übertragbar sein. Man darf allerdings auch nur nicht erwarten, dass unsere Ergebnisse direkt in ein Produkt fließen – Aufgabe der Hochschulen ist ja die Forschung. Außerdem bin ich überzeugt davon, dass für jegliche Form von autonomen Verhalten in anderer Umgebung auch noch ein Pre-Training möglich nötig sein wird. Für ein vertriebsfertiges Produkt wird daher sicher noch ein gewisser Aufwand auch auf Seiten der Industriepartner einfließen müssen. Aber darauf schauen wir in drei Jahren, wenn wir das Forschungsprojekt CAPTN X-Ferry beendet haben werden.


Das Interview führte Ann-Christin Wimber.