Zusammenstoß mit einem autonomen Schiff: Wer haftet?
21. September 2023Wenn zwei Schiffe zusammenstoßen ist die Schuld- und Haftungsfrage heutzutage relativ schnell zu klären. Doch wie sieht es aus, wenn ein autonomes – also selbstfahrendes Schiff, das von einem Kontrollzentrum aus überwacht wird – mit einem anderen Verkehrsteilnehmer zusammenstößt?
Das haben wir Prof. Dr. iur. habil. Michael Stöber vom Institut für Wirtschafts- und Steuerrecht der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gefragt.
Herr Stöber, wo liegen die rechtlichen Probleme in Bezug auf die autonome Schifffahrt?
Stöber: Die sind aktuell noch umfassender Natur: Zum einen gibt es noch zulassungsrechtliche Probleme, weil völlig autonome Schiffe noch gar nicht betrieben werden dürfen. Bis auf Weiteres muss immer mindestens eine Aufsichtsperson den Betrieb überwachen. Das hängt mit dem Stand der technischen Entwicklung zusammen. Der Gesetzgeber ist in diesen Bereichen vorsichtig. Nur wenn die Technik so weit ist, dass wir Unfälle und Personenschäden weitgehend ausschließen können, wird sie zur Zulassung freigegeben. So verhält sich es sich auch mit autonomen Autos: Es gibt zwar inzwischen ein sogenanntes Gesetz zum autonomen Fahren. Aber das behandelt in Wahrheit nicht das autonome, sondern das vollautomatisierte Fahren. Ähnlich ist es bei Schiffen. Im Moment brauchen wir immer eine – die Juristen sagen – natürliche Person, eine Aufsichtsperson, die gegebenenfalls eingreifen kann.In der Zwischenzeit versucht man die technische Seite weiter voranzutreiben und sowohl die Software als auch die Hardware zu optimieren, bis der Gesetzgeber befindet, dass man die Schiffe technisch gefahrlos oder einigermaßen gefahrlos betreiben kann.
Wird es dann einen Maßnahmenkatalog geben, den man dann erst erfüllen muss, um eine solche Freigabe zu erhalten?
Aktuell gibt es eine Reihe von Zulassungsvoraussetzungen, die autonome Fahrzeuge erfüllen müssen, damit sie zum Verkehr im öffentlichen Straßenverkehr zugelassen werden – auf privatem Gelände darf man sie in deutlich weiterem Umfang fahren lassen. Ich denke, ähnlich es wird auch im Bereich der autonomen Schifffahrt sein. Der Gesetzgeber wird Kriterien erarbeiten, die sowohl für die eingesetzte Software als auch für die Hardware erfüllt werden müssen, um die Zulassung zu ermöglichen.
Wie sähe das genau aus?
Es gibt bereits jetzt eine sogenannte Typenzulassung. Das heißt, man prüft nicht einen konkreten Gegenstand, sondern lässt einen bestimmten Fahrzeugtyp zu, weil er mit den entsprechenden, für diesen Typus erforderlichen Kriterien ausgestattet ist. Dazu gehören dann auch Hard- und Software. Bei autonomen Schiffen wird man das vermutlich genauso machen. Ich denke, das zuständige Ministerium wird sich im Vorfeld mit den relevanten Behörden beraten. Wenn es dann aus der Wirtschaft oder von technischer Seite her heißt, man sei soweit, dann wird der Gesetzgeber das erst mal prüfen. Es wird also sicherlich noch etliche Jahre dauern, bis eine solche Typenzulassung Realität wird.
Experten rechnen damit, dass autonome Autos in etwa fünf Jahren auf unseren Straßen fahren werden.
Ja, dem stimme ich zu. Ich sehe allerdings für die autonome Schifffahrt noch ein weiteres Problem: Ländergrenzen. Schifffahrt ist ja nichts ausschließlich Nationales. Bei der Binnenschifffahrt oder dem Verkehr auf nationalen Gewässern greift natürlich das deutsche Recht, aber viele Schiffe sind im internationalen Schiffsverkehr unterwegs und da stellt sich die Frage der internationalen Vereinheitlichung. Es wäre nicht dienlich, wenn jedes Land seine eigenen Zulassungskriterien aufstellen würde.
Okay, das eine ist die Zulassung. Aber wie sieht es mit dem Betrieb des Schiffs aus? Gibt es da haftungsrechtliche Grundsätze?
Das ist ein interessanter Aspekt. Die Haftung ist bisher noch nicht speziell für autonome Verkehre geregelt. Die Frage ist, muss man das speziell für autonome Schiffe regeln? Ich bin der Meinung, dass das existierende Regelwerk im Prinzip ausreichen würde. Man hat bei Fahrzeugen, egal ob Luft-, Wasser- oder Landfahrzeugen, immer eine sogenannte Halterhaftung. Das heißt, es haftet derjenige, der Halter des Schiffes ist, der also über das Schiff verfügt. Im Bereich der Schifffahrt kann das der Reeder sein, der nicht zwingend auch Eigentümer des Schiffes ist. Dieser haftet in jedem Fall und in der Regel auch ohne Rücksicht auf ein Verschulden. Man spricht von einer objektiven Haftung, die nicht das subjektive Element des Verschuldens, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit, voraussetzt. Wenn für ein teilautonomes Schiff ein Fahrfehler nachgewiesen wird, dann haftet derjenige, der das Schiff fernsteuert oder überwacht.Bei Kraftfahrzeugen gibt es einen Haftungsausschluss bei höherer Gewalt, also zum Beispiel, wenn das Fahrzeug durch einen Sturm gegen einen Zaun geweht wird. Dann würde der Halter nicht haften.Und schließlich gibt es noch die Produkthaftung. Da müsste man allerdings zunächst schauen, was man unter Produkt versteht. Sie gilt normalerweise nur für bewegliche Sachen – und Schiffe werden im deutschen Recht wie Grundstücke behandelt. Das heißt, sie sind dann keine beweglichen Sachen. Wofür es aber auf jeden Fall eine Produkthaftung gibt, sind die Steuerungskomponenten des Schiffs und die Software. Wenn sich daraus ein Unfall und ein Schaden ergibt, dann würde auch der Hersteller dieser Steuerungskomponente haften. Auf EU-Ebene wird aktuell eine Aktualisierung der Produkthaftungsrichtlinie vorbereitet, mit der dieser Bereich der Digitalisierung besser erfasst werden soll. Außerdem wird auch ein Entwurf zu einer EU-Verordnung zu künstlicher Intelligenz erarbeitet. Dabei geht es auch um bestimmte Beweisfragen, da es aktuell für den Geschädigten unter Umständen schwierig ist, nachzuweisen, dass der Unfall auf einem Softwarefehler beruht. Um die Beweiserbringung zu erleichtern, muss das Unternehmen dann bestimmte Informationen herausgeben, an die der Geschädigte unter Umständen sonst gar nicht herangekommen wäre.
Das heißt, Ihrer Ansicht nach sind bereits jetzt alle notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen vorhanden?
Die bestehende Regelung ist nicht spezifisch auf autonome Schiffe zugeschnitten, das stimmt schon. Aber es existieren schon heute Regelungen, die man anwenden könnte. Unter Umständen müsste man tatsächlich hier und da etwas nachbessern, um die noch passgenauer zu machen.Das wird von manchen Kollegen anders gesehen. Die sind der Meinung, dass durch den Wegfall der steuernden Person eine Haftungslücke entsteht. Ich würde aber sagen, dass diese schon nach geltendem Recht ganz gut ausgefüllt wird: Zum einen durch die Produkthaftung, zum anderen durch die Haftung des Herstellers. Und wenn jetzt diese EU-Richtlinie noch an die besonderen Herausforderungen der Digitalisierung angepasst wird, dann wird auch dieser Aspekt noch wirkungsvoller erfasst. Gerade die Haftung des Herstellers wird sicherlich in Zukunft wichtiger werden, weil man mit autonomen Fahrzeugen eher Unfälle durch Fehler der Software oder Steuerungstechnik sehen wird als eben durch menschliches Fehlverhalten. Der Fahrer oder die steuernde Person, die wird rechtlich schlicht ersetzt durch den Hersteller.
Vielen Dank für das Gespräch.